Brief vom 10. Juli 1750, von Sulzer, J. G. an Ramler, K. W.

Datum: 10. Juli 1750

Mein werthester Freünd.

Ich schreibe Ihnen jezo so wol um auf ihren Brief zu antworten, als um die Melancholie zu vertreiben, die mir der Abschied der besten Freünde gemacht. Vor wenig Stunden ist Gleim mit Klopstoken verreißt, und Hr. Sak hat von unserm Garten zärtlich Abschied genommen. Dies macht mir diesen sonst so schönen Wohnplaz ganz öde, noch weit öder, als Berlin Langemaken muß gewesen seyn, als wir nach Sukow reisten. Klopstok ist ein allerliebster Mann. Ich drüke seine Hand bey nahe mit so zärtlicher Empfindung, als die Hand meines Mädchens, und sein Kuß kömt dem ihrigen am nächsten. Er ist den Ansehen nach ein Galanter Leipziger, und sein Gesicht hat viel Ähnliches mit dem Gesicht unsers Krausens. In dem Grad Pokennarbig und zart. Er ist ziemlich lebhaft, aber dabey freündlich ernsthaft und zeiget einen würklich seraphischen Geist in seiner Miene. Hempel hat ihn heute gemalt, Hr. Sak wird das Portrait behalten. Er hat sich mit unsern Mädchen recht sehr lustig gemacht, und ich bilde mir nicht wenig darauf ein, daß er dem meinigen vorzüglich nachgegangen, und nach ihrem Kuß am begierigsten gewesen. Sie sehen daraus, daß wir auch braf geküßt haben. Er hat uns sehr viel vom 4 und 8 Anfang des Meß. vorgelesen. Er hat Mittel gefunden seine ganze Liebe hineinzubringen. Jung und alt mußte dabey nicht nur weinen, sondern bey nahe zerfließen. Viele von uns waren den ganzen Tag hernach melancholisch. Es ist ihm hier viel Ehre erzeiget worden. Eine starke Anzahl FrauenZimmer wurden zu unser ordentlichen Gesellschafft geruffen um ihn lesen zu hören. Dies alles geschah in einem fürtrefflichen Garten. Mit einem Worte, man kann nicht vergnügten seyn, als wir waren. Die neuen Gesänge sind ausnehmend und übertreffen meines Erachtens, die andern weit. Abbadonan hat die allerfürtrefflichste Rolle, doch ich kann Ihnen nicht alles schreiben, was ich Ihnen gerne sagen wollte. Sie werden bald was davon sehen, denn Hr. Sak nihmt das Msk. mit sich.

Von seiner Liebe macht er kein Geheimniß. Er hat meinem Mädchen Briefe von seiner Schmidtin vorgelesen, und erlaubte hernach sogar, daß sie der ganzen Gesellschaft vorgelesen wurden. Sie schreibt, wie die Sevigny. Am Sonnabend abend werde ich mit Hrn. Schulth. und Steiner verreisen und Klopstoken in Quedlinburg abholen; denn er reißt mit uns nach der Schweiz. Was für schöne Scenen werden da auf uns warten?

Von Hempeln kann ich Ihnen nicht viel sagen. Morgen wird er mein Mädchen mahlen, damit ihr Bild wenigstens mit mir nach der Schweiz reise. Er hat mir nur überhaupt gesagt, daß er hier noch wenig gethan, und daß er großen Schaden von seinem hierseyn habe. Er wirfft die Schuld nicht, wie er sollte, auf seine Nachläßigkeiten sondern auf die Umstände. Er ist hier schon mit harten Steinschmerzen geplagt gewesen, der arme Man!

Ich wünschte, daß ich den Artikel die Crit. Nachrichten betreffend übergehen könnte! Langemak muß absolute mehr arbeiten. Wenn Sie Mangel haben, so müßen Sie Bodmers Brief, Schultheißens Übersetzung von den Schäfferstüken, und meinen Brief über den Noah mit brauchen. Ich zweifele, daß Gleim Ihnen etwas schiken wird, er ist viel zu unruhig. Kleist hat mir anakreont. Oden von Ewald geschikt. Die auf die Venus in Sans Souci dünkt mich und Klopstoken zu frey. Ich meines Theils würde diese nicht gerne in den Crit. Nachr. sehen. Jezo dünkt mich, habe ich Ihnen das wichtigste gesagt, was ich zusagen hatte.

Ich gehe jezo an die Ufer der Elbe zu seüfzen.

Leben Sie wol. Ich grüße Langemak herzlich und verbleibe Ihr getreüer Sulzer.

Bey Magdeb. d. 10 Julij 1750.

Überlieferung

H: DLA Marbach, B: Sulzer, Johann Georg. – E: Wilhelm Briefe an Karl Wilhelm Ramler 1891.

Stellenkommentar

unserm Garten
Der Garten des Kaufmanns Heinrich Wilhelm Bachmann d. Ä. auf der Halbinsel Werder in Magdeburg. Zu den Dichtertreffen dort vgl. Kittelmann (Brief-)Lektüren in Gärten 2020.
Langemaken
Der 1710 geborene Lucas Friedrich Langemack war Hausgenosse Ramlers und durch diesen mit Gleim und Sulzer befreundet. Er wirkte als Polizeisekretär in Berlin und verfasste zahlreiche juristische Schriften.
Sukow
Suckow in der Uckermark, dort besaß Sulzers Freund Georg Friedrich von Arnim ein Gut, auf dem sich Sulzer häufiger aufhielt.
Krausens
Christian Gottfried Krause.
Hempel
Der Maler Gottfried Hempel.
meines Mädchens
Sulzers Braut Wilhelmine Keusenhoff, die er im Dezember 1750 heiratete.
seiner Schmidtin
Maria Sophia Schmidt, genannt Fanny, Klopstocks erste große Liebe, die ihn allerdings nicht ehelichen wollte.
wie die Sevigny
Marie de Rabutin-Chantal, Marquise de Sévigné, Autorin der französischen Klassik, die durch ihre posthum publizierten Briefe Bekanntheit erlangte und insbesondere in der Briefkultur des 18. und 19. Jahrhunderts eine große Rezeption erfuhr. Vgl. dazu Kittelmann Madame de Sévigné und ihre Erb(inn)en 2020.
mit Hrn. Schulth. und Steiner verreisen und Klopstoken
Sulzer reiste mit dem jungen, bei ihm in Pension stehenden Winterthurer Hans Georg Steiner sowie seinem Freund Johann Georg Schulthess und Klopstock in die Schweiz, kehrte aber wegen seiner bevorstehenden Hochzeit bereits im September nach Preußen zurück, während Klopstock in Zürich blieb.
Artikel die Crit. Nachrichten betreffend
Sulzer gab seit 1750 gemeinsam mit Ramler die Zeitschrift Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit heraus. Allerdings zog er sich zunehmend aus der Redaktion zurück, was Ramler u. a. in Briefen an Gleim kritisierte. Vgl. Ramler an Gleim, 8. August 1750: »Ich habe keinen Buchstaben mehr von Sulzers Hand in die critischen Nachrichten. Bedencken sie, wie will ich das Blatt mit Langemack vollfüllen, wenn wir alle Bücher erst durchlesen müßen, und wir müßen es; imgleichen wenn wir alle Nachmittage faullentzen und spazieren gehn wollen, und wir wollen es. Helfen sie doch nur ein eintziges Buch recensiren.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 244). 1752 ging die Redaktion an Christlob Mylius über.
anakreont. Oden von Ewald
Johann Joachim Ewald. Kleists Schreiben an Sulzer mit den Oden wurde nicht ermittelt. Vgl. auch Ewald Christian von Kleist an Gleim, 20. Juni 1750: »Ich muß Ihnen doch noch sagen, daß mein neuer Freund Ewald heißt, ein sehr liebenswürdiger und geschickter Mensch. Hier haben Sie eine Probe von seinem Witz: Ueber die Statue der Venus in Sans-Soucides Alex. von Papenhoven./ Geliebte Venus, wie Du lächelndden Garten/ unsers Friedrich's zierest!/ O, wenn mir einst die blonde Daphne/ Vergönnte, was Dein Amor waget/, der jene leichte Kleidung hebet,/ die sich um Deine weißen Hüften recht neidisch, doch unnöthig schmieget!/ Reiz, schönste Venus, meine Daphne,/ wenn ich Dich einst ihr zeigen werde,/ daß sie mir selbst in ihrem Zimmer die allerliebste Stellung weise,/ worin sie Dich allhier gesehen,/ und denn will ich dem Amor gleichen.// Sie werden diese Ode nicht vollkommen finden; Sie werden aberdoch sehen, dass mein FreundGenie hat.« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 172).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann
Kommentar: Jana Kittelmann
Status: In Bearbeitung